©Aargauer Zeitung, Montag 11. Januar 2016
„Musik wirkt wie ein Turbo“
WETTINGEN Mit 18 Jahren sang Daniel Pérez die „Dichterliebe“ – seither ist der Bariton auf Erfolgskurs
„Ich bin sehr viel unterwegs“, hatte Daniel Pérez am Telefon gesagt. Wenn das so ist, kommt für den Fototermin nur der Bahnhof Wettingen und das im Hintergrund sichtbare Kloster samt Zwiebelturm-Kirche infrage. Dort hat schliesslich alles begonnen. Aber das Wetter spielt nicht mit, also streben wir dem Kloster zu – und blenden erst einmal zurück ins Jahr 2007. „Daniel Pérez singt die „Dichterliebe“.“ Die Ankündigung war mehr Gerücht als Gewissheit. Aber dann hörte man in der Villa Boveri tatsächlich Schumanns grossformatigen Liederzyklus – gesungen von einem 18-jährigen Schüler der Kantonsschule Wettingen.
Immer richtigen Zeitpunkt erwischt
Was hat er sich damals bloss gedacht? Daniel Pérez (27) lacht: „Ich wusste zu jener Zeit gar nicht, was ich eigentlich vor mir hatte. Ich sang einfach, weil ich etwas ausprobieren wollte. In diesem Alter hat man ja einen völlig unverkrampften Zugang zu diesem Werk.“ Einen solchen hatte der Sänger auch zu anderem, denn am Konzerttag war der Teufel los. Um 7 Uhr musste Daniel Pérez zur Autoprüfung antreten, die er auch bestand. „Anschliessend war Schule angesagt; abends war Konzert, danach ging es nach Hause, wo ich Aufgaben büffelte. Dieser Tag war schon verrückt.“ Die Frage, ob Schumanns „Dichterliebe“ für ihn nicht doch zu früh gekommen sei, kommt gar nicht erst hoch, weil der Sänger anmerkt: „Ein Korrepetitor aus Luzern hat mir einmal gesagt: „Warte nicht auf den Moment, mach‘ es vorher.““ Mit Grössenwahnsinn hat dieses erste grosse Konzert, das den jungen Bariton rasch bekannt machte, also nichts zu tun. Wohl aber mit der realistischen Einschätzung, dass man nicht zu lange warten sollte, denn: „Man könnte den richtigen Zeitpunkt verpassen.“
Hört man Daniel Pérez zu, muss man einfach glauben, dass er diesen bis anhin stets erwischt hat. Schon als Bub war er „extrem an Musik“ interessiert. Aber die tiefe Liebe zum Gesang wurde erst später, in der Kantonsschule Wettingen, geweckt. Weil er montags immer eine sehr lange Mittagspause hatte, sagte ein Kollege eines Tages zu ihm: „Mach doch mit bei uns im Chor.“ Susanne Oldani, die für die Stimmbildung verantwortlich war, hörte den ebenso samtenen wie kernigen Bariton rasch aus dem Ensemble heraus und riet dem Schüler, sich in Gesang unterrichten zu lassen – der Stein war ins Rollen gebracht.
Jahre später rollt es für Daniel Pérez derart gut, dass man sich an Rossinis Barbier von Sevilla und dessen Arie „Figaro hier, Figaro dort“ erinnert fühlt. Blickt man in die Agenda des Baritons, zeigt diese, wie gefragt er ist. Ob in Spreitenbach, Wettingen, Baden, bald in Oberwil mit einem auf Grillparzer basierenden Medea-Projekt; in St. Gallen und Trogen mit der Bach-Stiftung unter Rudolf Lutz oder in Basel mit dem A-cappella-Ensemble Larynx – immer steht für den Sänger die Begegnung mit der Musik im Vordergrund: „Musik wirkt wie ein Turbo – egal in welcher Funktion“, sagt er. Das heisst: Ob als Solist, Chormitglied, Partner in einem Vokalensemble, Lehrer – in der Musikwerkstatt Brugg und für ein halbes Jahr an der Kantonsschule Baden – Chorleiter, Stimmbildner oder Geschäftsführer der Wettinger Kammerkonzerte: Die ganze Bandbreite musikalischen Schaffens interessiert Pérez derart brennend, dass er lachend anmerkt: „Jede Art von Einschränkung wäre ungesund für mich.“
Gehörige Portion Selbstironie
Sagt der 27-jährige solches und Ähnliches, schwingt immer eine schöne Portion Selbstironie mit. Von Selbstüberschätzung keine Spur. Daniel Pérez weiss zu gut, was ihm der Sängerberuf abverlangt. Leidenschaft, Hingabe, Können, Neugier, Offenheit, aber auch Disziplin – gerade im Hinblick auf Organisatorisches. Er ist sein eigener Manager und weiss demzufolge, wo und wann Verpflichtungen anstehen. Eine Fünf-Tage-Woche? Daniel Pérez schüttelt verwundert den Kopf. „Ich kann Menschen nicht verstehen, die beklagen, dass es schon wieder Montag ist. Ich freue mich auf jeden Tag.“ Besonders dann, wenn ein A-cappella-Konzert ansteht. „Sologesang ist eine Welt für sich“, betont der Sänger, „im A-cappella-Ensemble hat man aber die ganze Musik im Kopf. Man muss sämtliche Stimmen kennen; muss hören, was und wie die anderen singen. Darauf muss man reagieren können. Mir macht das Riesenspass.“
Da braucht es nur einen kleinen Anstoss, um ihn nach Wunschprojekten zu fragen. Daniel Pérez schwärmt von einer noch zu gründenden „A-cappella-Combo, die Schweizer Volkslieder, aber auch Jazziges singt“ und Schuberts „Winterreise“, die er gerne einmal „völlig anders“ singen möchte. Nicht im Konzertsaal, sondern an einem Ort, der zur ersten Liedzeile „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ passt: in der U-Bahn. Mehr will Daniel Pérez nicht verraten. Noch handelt es sich ja „nur“ um einen Traum – aber einen, der mit Musik zu tun hat: und diese wirkt auf Daniel Pérez wie ein Turbo. (efe)